„Ihre Ausdrücke aus der Kinderstube gewöhnen Sie sich im großen Leben und vor gebildeten Leuten besser ab“, forderte Hannibal mit Strenge. „Man sagt ein ausgerissenes Bein. Jedenfalls ist es wahr, daß unsere Beine noch lange zappeln, nachdem sie ausgerissen sind.“

„Nein,“ sagte Maja, „das glaub’ ich nicht ohne Beweis.“

„Meinen Sie, ich risse mir Ihretwegen ein Bein aus?“ fragte Hannibal böse. „Ich merke schon, daß man mit Ihnen nicht verkehren kann. So etwas hat mir noch niemand zugemutet, hören Sie.“

Maja wurde ganz befangen, sie begriff nicht, weshalb der Weberknecht so verdrießlich wurde und wo ihre Schuld lag. Es ist gar nicht so leicht, mit fremden Leuten zu verkehren, dachte sie, sie denken anders und begreifen oft nicht, daß man es nicht böse meint. Sie wurde traurig und sah bekümmert auf die große Spinne mit ihren langen Beinen und ihrem grämlichen Gesichtsausdruck.

„Eigentlich sollte man den Versuch machen, Sie zu fressen“, sagte da plötzlich der Weberknecht, der offenbar die Gutmütigkeit Majas für Schwäche gehalten hatte. Aber da geschah es der kleinen Biene ganz seltsam, ihre Trauer war plötzlich verflogen, und an Stelle von Schreck oder Furcht stieg ein ruhiger Mut in ihrem Herzen empor. Sie richtete sich ein wenig auf, und während sie ihr hohes helles Summen ausstieß, fast ohne zu wissen, daß sie es tat, sagte sie mit glänzenden Augen und hob ihre schönen durchsichtigen Flügel ein wenig:

„Ich bin eine Biene, mein Herr.“

„Pardon“, sagte Hannibal, drehte sich ohne Gruß um und lief den Stamm so rasch hinunter, wie man nur irgend mit sieben Beinen laufen kann.

Maja mußte lachen, ob sie wollte oder nicht. Unten begann Hannibal laut zu schelten.

„Sie haben einen schlechten Charakter,“ rief er aufgeregt, „Sie gehen mit Ihrem Stachel gegen Leute vor, die durch harte Schicksalsschläge daran behindert sind, sich in gewohnter Weise von der Stelle zu bewegen. Aber Ihre Stunde wird schlagen, und sobald Sie in Bedrängnisse geraten, werden Sie an mich denken und alles bereuen.“

Er verschwand unter den Huflattichblättern am Boden. Die kleine Biene hatte nicht mehr alles verstanden, ihr war wohl zumut, zumal der Wind fast ganz nachgelassen hatte und der Tag schön zu werden versprach. Hoch am Himmel zogen weiße Wolken im tiefen Blau, sie sahen still und glücklich aus, wie gute Gedanken Gottes. Und heiß und unwiderstehlich überfiel die kleine Biene die Sehnsucht nach dem satten Schattengrund der Waldwiesen und nach den besonnten Hängen jenseits des großen Sees, dort mußte längst ein frohes Leben begonnen haben. Sie sah die schlanken Gräser schaukeln, und am Waldrand wuchsen in den schmalen Wassergräben hohe gelbe Schwertlilien. Von ihren Kelchen sah man hinüber in die geheimnisvolle Nacht des Tannenwaldes, aus dem es kühl und traurig wehte. Sie wußte, in seiner finstern Stille, die den Sonnenschein in ein rötliches Schlummerlicht verwandelte, lag das Heimatland der Märchen.

Da flog sie schon durch die Luft. Es war ihr gar nicht recht zum Bewußtsein gekommen, daß sie aufgeflogen war. Die Waldwiesen und ihre Blumenhänge hatten sie gerufen. O du lieber Gott, dachte sie, wie herrlich ist es, zu leben.

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