Fridolin sah Maja mit hochgezogenen Brauen an und nickte ein paarmal gewichtig mit dem Kopf. Es machte ihm offenbar Spaß, daß er etwas besser wußte.

„Zu groß?“ fragte er, „wer spricht von seiner Größe? Nein, meine Liebe, seine Größe ist es nicht, die uns besorgt macht, sondern seine Zunge.“

Maja machte große Augen, und nun erfuhr sie von Fridolin, daß der Specht eine lange dünne Zunge hat, rund wie ein Wurm, und spitz und klebrig. „Zehnmal so lang, wie ich es bin, kann er sie mindestens herausstrecken“, rief der Borkkäfer und schwenkte den Arm. „Man denkt, jetzt ist sie zu Ende, da wird sie noch länger. Er schiebt sie, gewissenlos wie er ist, tief in alle Spalten und Risse der Rinde und denkt: vielleicht sitzt jemand darin. Sogar in unsere Kanäle dringt diese Zunge ein, Gott weiß es, und was mit ihr in Berührung kommt, klebt daran fest und wird herausgezogen.“

„Ich bin nicht feige,“ sagte Maja, „bestimmt nicht, aber diese Tatsache macht mich doch recht besorgt.“

„Ach, Sie mit Ihrem Stachel haben es gut“, meinte Fridolin nicht ohne Neid. „Jeder besinnt sich, eh er sich in die Zunge stechen läßt, fragen Sie, wen Sie wollen. Aber was soll unsereiner sagen? Meine Cousine hat es durchgemacht. Wir hatten vorher einen kleinen Streit wegen meiner Frau gehabt, ich weiß noch alles genau, sie war bei uns auf Besuch und kannte die Wohnungsverhältnisse noch nicht so recht. Mit einmal hören wir den Specht scharren und klopfen, es war einer von den kleineren Sorten. Er muß grade bei unserem Bau angefangen haben, sonst hört man ihn gewöhnlich schon vorher und bringt sich in Sicherheit. Plötzlich höre ich meine bedauernswerte Cousine aus dem Dunkel schrein: ‚Fridolin, ich klebe!‘ Ich vernahm noch ein verzweifeltes Zappeln, dann wurde es still, und der Specht hämmerte schon nebenan. Um meine Cousine war es geschehn, sie war bereits verschlungen. Sie hieß Agathe.“

„Fühlen Sie mal, wie mein Herz klopft,“ sagte Maja leise, „Sie hätten es nicht so rasch erzählen sollen. Was doch alles passiert in der Welt!“ Und die kleine Biene dachte an ihre eigenen Erlebnisse, die zurücklagen, und an alles, was ihr vielleicht noch begegnen könnte.

Da fing plötzlich Fridolin an zu lachen.

Maja sah sich überrascht nach ihm um.

„Passen Sie auf,“ rief er, „jetzt kommt der Richtige den Baum herauf, das ist einer, sage ich Ihnen. Nun, Sie werden ja sehn.“

Maja folgte seinen Blicken und sah ein merkwürdiges Tier langsam den Baum emporklimmen. Sie hatte niemals für möglich gehalten, daß es solche Tiere gab. Aber größer als ihr Erstaunen war anfangs ihre Angst, und sie fragte Fridolin hastig, ob man sich verbergen müßte.

„Kein Gedanke,“ sagte der Borkkäfer, „bleiben Sie getrost sitzen und begrüßen Sie den Herrn höflich. Er ist sehr gelehrt und hat wirklich ernste Kenntnisse, dabei ist er gutherzig und bescheiden und wie alle Leute, die so beschaffen sind, etwas komisch. Schauen Sie, was er tut!“

„Wahrscheinlich denkt er nach“, meinte Maja, die nicht aus dem Erstaunen herauskam.

„Er kämpft gegen den Wind,“ sagte Fridolin und lachte, „wenn ihm nur seine Beine nicht durcheinandergeraten.“

„Sind denn diese langen Fäden wirklich seine Beine“, fragte Maja mit großen Augen. „So was hab’ ich nie gesehn.“

Inzwischen war der Fremde näher gekommen, und Maja sah ihn genauer. Eigentlich sah es aus, als käme er durch die Luft, so hoch hing sein kleiner, rundlicher Körper in den ungeheuer langen Beinen, die wie ein fadendünnes, bewegliches Gestell, weit von ihm ab, nach allen Seiten hin Halt suchten. Er schritt vorsichtig und tastend voran, dabei schwankte das braune Kügelchen seines Körpers bald höher hinauf, bald wieder hinab. Die Beine waren so lang und dünn, daß ein einzelnes sicher den Körper nicht hätte tragen können, er brauchte sie unbedingt alle zusammen, und da sie in der Mitte geknickt waren, überragten sie ihn hoch bis in die Luft hinein.