aber gewann die Hoffnungslosigkeit wieder die Überhand. »Ich bin ein großer Vogel, Däumling,« sagte er. »Wie glaubst du nur, daß du so viele Maschen durchfeilen kannst, daß ich entweichen könnte? Es ist am besten, wenn du aufhörst und mich in Frieden läßt.« – »Schlafe du nur weiter und kümmere dich nicht um mich!« erwiderte der Junge. »Ich werde weder heute nacht noch morgen nacht fertig, aber ich will trotzdem versuchen, dich zu befreien, denn hier gehst du ja ganz zugrunde.«

Gorgo schlief wieder ein, aber als er am nächsten Morgen erwachte, sah er gleich, daß eine Menge Maschen durchgefeilt waren. An dem Tage fühlte er sich gar nicht so schläfrig wie an den vorhergehenden Tagen. Er schlug mit den Flügeln und hüpfte auf den Ästen der Bäume umher, um die Steifheit aus den Gliedern zu vertreiben.

Eines Morgens in aller Frühe, gerade als das erste Morgenlicht am Himmel angezündet wurde, weckte Däumling den Adler. »Versuche jetzt einmal, Gorgo!« sagte er.

Der Adler sah in die Höhe. Däumling hatte wirklich so viele Maschen durchgefeilt, daß ein großes Loch in dem Stahldrahtnetz entstanden war. Gorgo schlug mit den Flügeln und schwang sich empor. Ein paarmal mißlang der Versuch und er fiel in den Käfig zurück, schließlich aber gelangte er glücklich ins Freie.

In stolzem Flug stieg er hoch über die Wolken empor. Der kleine Däumling saß da und sah ihm mit wehmütiger Miene nach und wünschte, daß jemand käme und ihm die Freiheit schenkte.

Niels Holgersen war jetzt ganz heimisch auf Skansen. Er hatte Bekanntschaft mit allen Tieren gemacht, die da waren, und hatte viele Freunde unter ihnen. Und er mußte ja einräumen, daß hier viel zu sehen und zu lernen war, so daß es ihm nicht schwer wurde, sich die Zeit zu vertreiben. Trotzdem wanderten seine Gedanken jeden Tag voll Sehnsucht hinaus zu dem Gänserich Martin und den anderen Reisegefährten. »Wäre ich nur nicht durch mein Versprechen gebunden,« dachte er, »so würde ich schon einen Vogel finden, der mich zu den Wildgänsen trüge!«

Es mag vielleicht wunderlich erscheinen, daß Klement Larsson dem Jungen seine Freiheit nicht wiedergegeben hatte, aber man muß bedenken, wie verwirrt der kleine Spielmann war, als er Skansen verließ. An dem Morgen, an dem er abreiste, hatte er allerdings daran gedacht, dem Jungen sein Essen in einem blauen Napf hinzustellen, unglücklicherweise konnte er aber keinen solchen finden. Dann kamen alle die Leute von Skansen, die Lappen, die Dalekarlier, die Zimmerleute und die Gärtner, um ihm Lebewohl zu sagen, und da hatte er keine Zeit mehr gehabt, einen blauen Napf zu beschaffen. Die Stunde zur Abreise kam heran und schließlich wußte er keinen anderen Ausweg, als einen der Lappen zu bitten, ihm behilflich zu sein. »Du mußt nämlich wissen,« sagte Klement, »hier auf Skanien wohnt eins von den ›Männlein‹, und dem pflege ich jeden Morgen Essen hinzustellen. Hier hast du ein paar Groschen; willst du mir den Gefallen tun, einen blauen Napf dafür zu kaufen und ihn morgen früh mit etwas Grütze und Milch unter die Treppe der Bollnäshütte stellen?« Der Lappe machte ein erstauntes Gesicht, aber Klement hatte keine Zeit, ihm die Sache näher zu erklären, denn er mußte nach dem Bahnhof.

Der Lappe ging auch wirklich in die Stadt, um den Napf zu laufen, da er aber keinen blauen finden konnte, der ihm für den Zweck passend erschien, kaufte er einen weißen, und darin stellte er gewissenhaft jeden Morgen Milch und Grütze hin.

So kam es denn, daß Niels Holgersen nicht von seinem Versprechen entbunden wurde. Er wußte, daß Klement fort war, aber er selbst durfte nicht weggehen.

In dieser Nacht sehnte er sich noch mehr als sonst nach der Freiheit, und das kam daher, daß jetzt allen Ernstes Sommer geworden war. Auf der Reise hatte er oft sehr unter Sturm und Regen gelitten, und in der ersten Zeit auf Skansen hatte er oft gedacht, es sei am Ende gar nicht so übel, daß die Reise unterbrochen war, denn er würde gewiß erfroren sein, falls er im Mai mit nach Lappland hinaufgekommen wäre. Jetzt aber war die Luft warm, die Erde war mit frischem Grün bedeckt, Birken und Pappeln trugen ein seidenweiches Blättergewand, die Kirschbäume, ja alle möglichen Obstbäume standen mit Blüten übersät da, die Stachelbeerbüsche hatten schon ganz kleine grüne Beeren, die Eichen wickelten mit großer Vorsicht ihre Blätter aus, Erbsen, Kohl und Bohnen wuchsen üppig auf den Gemüsebeeten. »Jetzt ist es gewiß auch da oben in Lappland gut und warm,« dachte der Junge. »In einer so schönen Morgenstunde wie heute möchte ich

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