Aber Akka hatte ihren ganzen Stolz darin gesetzt, daß es ihr gelingen würde, einen Adler zu einem frommen und friedlichen Vogel zu erziehen, und sie konnte sich nicht darin finden, daß er auf seine eigene Art leben wollte. »Glaubst du, daß ich Freundschaft mit einem Vogelräuber halten werde?« sagte sie. »Lebe so, wie ich es dich gelehrt habe, dann darfst du, wie bisher, mit unserer Schar fliegen.«

Sie waren beide stolz und unbeugsam, und keines von beiden wollte nachgeben. So endete es denn damit, daß Akka dem Adler verbot, sich in ihrer Nähe blicken zu lassen, ja, sie war so böse auf ihn, daß niemand es wagte, in ihrer Gegenwart seinen Namen zu nennen.

Seit dieser Stunde zog Gorgo im Lande umher, einsam und von allen gescheut, wie es große Räuber sind. Ihm war oft finster zu Sinn, und sicherlich sehnte er sich gar manches Mal nach der Zeit zurück, wo er sich für eine Wildgans gehalten und mit den munteren jungen Gösseln gespielt hatte. Unter den Tieren erlangte er einen großen Ruf wegen seines Mutes und seiner Kühnheit. Sie pflegten zu sagen, er fürchte sich vor niemand außer vor seiner Pflegemutter, Akka. Sie wußten auch von ihm zu erzählen, daß er sich nie an einer Wildgans vergriffen habe.

In Gefangenschaft.

Gorgo war erst drei Jahre alt und hatte noch nicht daran gedacht, sich eine Frau zu nehmen und einen Hausstand zu begründen, als er eines Tages von einem Jäger gefangen und nach dem Freiluftmuseum Skansen verkauft wurde. Dort waren bereits zwei Adler. Sie wurden in einem Käfig aus eisernen Stangen und Stahldraht gefangen gehalten. Dieser Käfig stand im Freien und war so groß, daß man darin ein paar Bäume hatte pflanzen und einen ziemlich hohen Hügel aus Steinen errichten können, damit die Adler sich dort heimisch fühlen sollten. Trotz alledem aber gediehen die Vögel nicht. Sie saßen fast den ganzen Tag regungslos auf demselben Fleck. Ihr schönes, dunkles Federkleid war zerzaust und glanzlos, und ihre Augen starrten mit hoffnungslosem Sehnen in die Luft hinaus.

In der ersten Woche, nachdem Gorgo in die Gefangenschaft geraten war, fühlte er sich noch kräftig und lebendig, allmählich aber befiel ihn eine dumpfe Schlaffheit. Er blieb still auf demselben Fleck sitzen wie die anderen Adler, starrte in die Luft hinaus, ohne etwas zu sehen und wußte nichts davon, daß die Tage vergingen.

Eines Morgens, als Gorgo wie gewöhnlich in seinem Halbschlaf da saß, hörte er, daß ihn jemand außerhalb des Käfigs anrief. Er war so stumpfsinnig, daß er sich kaum entschließen konnte, die Augen dahin zu wenden, woher der Laut kam. »Wer ruft mich?« fragte er. – »Aber, Gorgo, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin es ja, Däumling, der mit den Wildgänsen flog.« – »Ist Akka auch gefangen?« fragte Gorgo in einem Ton, als strenge er sich an, nach einem langen Schlaf seine Gedanken zu sammeln. – »Nein, Akka und der weiße Gänserich und die ganze Schar fliegen jetzt wahrscheinlich wohlbehalten oben in Lappland herum,« antwortete der Junge. »Nur ich bin hier gefangen.«

Während der Junge sprach, sah er, daß Gorgo den Blick von ihm abwandte und in die Luft hinausstarrte so wie vorher. »Königsadler!« rief der Junge. »Ich habe nicht vergessen, daß du mich einmal zu den Wildgänsen zurückgetragen und daß du das Leben des weißen Gänserichs geschont hast. Sage mir doch, ob ich dir nicht auf irgendeine Weise helfen kann!« Gorgo erhob kaum den Kopf. »Störe mich nicht, Däumling!« sagte er. »Ich sitze hier und träume, daß ich frei oben in der Luft umherschwebe. Ich mache mir nichts daraus, zu erwachen.« – »Du solltest dich ein wenig bewegen und achtgeben, was um dich her vorgeht,« ermahnte der Junge, »sonst, fürchte ich, wirst du bald ebenso elendig aussehen wie die anderen Adler.« – »Ich wollte, ich wäre schon so wie die. Sie gehen so völlig in ihren Träumen auf, daß sie nichts mehr stören kann,« sagte Gorgo.

Als die Nacht anbrach und alle Adler schliefen, vernahm man ein leises Kratzen an dem Stahldrahtnetz, das den Käfig überdachte. Die beiden alten, stumpfsinnigen Gefangenen ließen sich nicht durch das Geräusch stören, Gorgo aber erwachte. »Wer ist da? Wer ist da oben auf dem Dach?« fragte er.

»Ich bin es, Gorgo, – Däumling!« antwortete der Junge. »Ich sitze hier und feile den Draht durch, damit du hinausfliegen kannst.«

Der Adler hob den Kopf und konnte in der hellen Nacht sehen, wie der Junge dasaß und an dem Netz feilte, das über den Käfig gespannt war. Einen Augenblick huschte ein Schimmer von Hoffnung über sein Gesicht, gleich

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