Etwas aber war da, woran diese Landschaft reicher war als alle anderen, nämlich an Licht. Die Kraniche schliefen stehend auf den Mooren, die Nacht mußte gekommen sein, aber das Licht war noch da. Die Sonne war noch nicht südwärts gewandert wie alles übrige. Dahingegen war sie nun so weit nach Norden gegangen, daß sie dastand und ihm gerade ins Gesicht schien. Und sie schien gar nicht die Absicht zu haben, über Nacht noch bis an den Horizont hinabzusinken. Wenn dies Licht und diese Sonne auf Vester Vemmenhög herabschienen! Das würde etwas für den Häusler Holger Nielssen und seine Frau sein, – ein Arbeitstag, der vierundzwanzig Stunden lang war!

Der Traum.

Sonntag, 19. Juni.

Niels Holgersen hob den Kopf und sah sich um, auf einmal ganz wach. Das war doch sonderbar! Hier lag er und hatte an einem Ort geschlafen, wo er nie zuvor gewesen war. Nein, er hatte noch nie das Tal gesehen, in dem er lag, und auch nie die Berge, die ihn umgaben. Er kannte nicht den runden See, der mitten in dem Tal lag und hatte nie im Leben solche armselige und verkrüppelte Birken gesehen wie die, unter denen er jetzt lag.

Und wo war der Adler? Er konnte ihn nirgends entdecken. Gorgo mußte ihn verlassen haben. Welch ein Abenteuer!

Der Junge legte sich wieder an die Erde nieder, schloß die Augen und versuchte sich darauf zu besinnen, wie alles gewesen war, ehe er einschlief.

Er erinnerte sich, daß es ihm die ganze Zeit, während er über den Västerbotten dahinflog, so gewesen war, als stünden er und der Adler da oben in der Luft ganz still auf demselben Fleck, während das Land unter ihnen gen Süden zog. Aber dann bog der Adler nach Nordwesten ab, sie bekamen den Wind von der Seite, er konnte wieder den Luftzug spüren, und im selben Augenblick stand das Land da unten still, und er fühlte, daß der Adler ihn mit Windeseile davontrug.

»Jetzt fliegen wir nach Lappland hinein!« sagte Gorgo, und der Junge beugte sich vor, um die Landschaft zu sehen, von der er so viel gehört hatte.

Er fühlte sich jedoch ziemlich enttäuscht, als er nichts weiter sah als große Wälder und weite Moore. Da war Wald und Moor und Moor und Wald bis ins Unendliche. Die große Einförmigkeit machte ihn schließlich so schläfrig, daß er nahe daran war, herunterzustürzen.

Da sagte er zu Gorgo, daß er es nicht länger aushalten könne, auf dem Adlerrücken zu sitzen, er müsse durchaus ein wenig schlafen. Gorgo ließ sich sofort auf die Erde herabsinken, und der Junge warf sich auf das Moos, dann aber packte ihn Gorgo mit den Fängen und schwang sich mit ihm in die Luft empor. »Schlafe du nur, Däumling!« rief er. »Mich hält der Sonnenschein wach, und ich will die Reise fortsetzen.«

Und obwohl der Junge höchst unbequem zwischen den Fängen des Adlers hing, schlief er wirklich ein und im Schlaf hatte er einen Traum.

Es war ihm, als sei er auf einer breiten Landstraße unten in dem südlichen Schweden und als laufe er so schnell, wie seine kleinen Beine ihn tragen konnten. Er war nicht allein, sondern eine Menge anderer zogen desselben Weges. Dicht neben ihm kamen die Roggenhalme mit schweren Ähren an der Spitze und mit Kornblumen vermischt dahermarschiert, die Apfelbäume keuchten schwer von Früchten und ihnen folgten Bohnen und Erbsen voller Schoten, große Büsche Margeriten und ein ganzes Gehege von Obststräuchern. Große Laubbäume, Eichen und Eschen und Linden, gingen in Ruhe und Gemächlichkeit mitten auf der Landstraße, stolz rauschten sie mit ihren Kronen und gingen niemand aus dem Wege. Zwischen seinen Beinen kamen die kleinen Pflanzen gelaufen: Erdbeeren, Anemonen, Löwenzahn, Klee und Vergißmeinnicht. Zuerst meinte er, daß es nur Pflanzen waren, die so des Weges dahinzogen, bald aber entdeckte er, daß sowohl Menschen als auch Tiere mit dabei waren. Die Insekten umsummten die dahineilenden Pflanzen, in den Gräben schwammen Fische, die Vögel saßen in den dahinwandernden Bäumen und sangen, zahme und wilde Tiere liefen um die Wette, und mitten zwischen all diesem Gewimmel gingen Menschen mit Spaten und Sensen, andere mit Äxten, wieder andere mit Flinten und einige mit Angelruten.

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