»Dann erwartest du wohl auch nicht, daß ich dich am Leben lasse?« fragte der Bär.

»Nein, das erwarte ich nicht,« sagte der Junge und sah dem Bären gerade in die Augen.

Der Bärenvater klemmte die Tatzen noch ein wenig fester zusammen. Es tat so weh, daß dem Jungen Tränen in die Augen traten, aber er kniff den Mund zusammen und sagte kein Wort.

»Gut! Eins, zwei, dr...!« sagte der Bärenvater und hob langsam die eine Tatze, denn er hoffte bis zuletzt, daß der Junge sich ergeben werde.

Im selben Augenblick hörte der Junge etwas in der Nähe klirren, und er sah einen blanken Büchsenlauf ein paar Schritte von ihnen entfernt. Er wie auch der Bärenvater waren so von ihren eigenen Angelegenheiten in Anspruch genommen, daß sie nicht beachtet hatten, wie ein Mensch ganz dicht an sie herangeschlichen war.

»Bärenvater!« rief der Junge, »hört Ihr nicht, daß jemand den Hahn eines Gewehrs spannt? Lauft! Sonst werdet Ihr totgeschossen!«

Der Bärenvater machte sich schleunigst aus dem Staube, hatte aber doch Zeit genug, den Jungen mitzunehmen. Ein paar Schüsse knallten, als er davonstürzte, und die Kugeln pfiffen ihm um die Ohren, aber er entkam glücklich.

Wie der Junge jetzt da hing und aus dem Rachen des Bären herausbaumelte, fiel es ihm ein, daß er sich wohl noch nie so töricht benommen hatte wie in dieser Nacht. Hätte er nur geschwiegen, so wäre der Bär erschossen, und er selbst wäre frei gewesen. Aber er hatte sich so daran gewöhnt, den Tieren zu helfen, daß er tat, ohne darüber nachzudenken.

Als der Bärenvater eine Strecke in den Wald hineingekommen war, blieb er stehen und setzte den Jungen an die Erde. »Hab' Dank, kleiner Mann,« sagte er. »Die Kugeln hätten sicher besser getroffen, wenn du nicht gewesen wärest. Und nun will ich dir dafür einen Dienst erweisen. Solltest du jemals wieder einem Bären begegnen, so sage ihm nur, was ich dir jetzt zuflüstere. Dann rührt er dich nicht an.«

Damit flüsterte der Bär dem Jungen ein paar Worte ins Ohr und eilte davon, denn er glaubte zu hören, daß die Hunde und Jäger ihn verfolgten.

Der Junge aber stand allein im Walde, frei und unbeschädigt, und konnte kaum begreifen, wie das möglich war.

Die Wildgänse waren den ganzen Abend hin und her geflogen, hatten gespäht und gerufen, ohne jedoch Däumeling finden zu können. Sie suchten noch lange, nachdem die Sonne untergegangen war, und als es schließlich so dunkel wurde, daß sie sich hinstellen und schlafen mußten, waren sie sehr mißmutig. Alle ohne Ausnahme glaubten sie, der Junge habe sich im Fall verletzt und läge nun tot im Unterholz, wo sie ihn nicht sehen konnten. Aber am nächsten Morgen, als die Sonne über die Berge guckte und die wilden Gänse weckte, lag der Junge wie gewöhnlich mitten zwischen ihnen und schlief, und er konnte sich des Lachens nicht enthalten, als er erwachte und sie vor Erstaunen schreien und gackern hörte.

Sie waren so neugierig zu erfahren, was sich mit ihm zugetragen hatte, daß sie nicht auf die Weide fliegen wollten, ehe er alles erzählt hatte, was ihm begegnet war. Schnell und munter erzählte der Junge sein ganzes Abenteuer mit den Bären, aber dann war es, als wolle er nicht mehr erzählen. »Wie ich zu euch zurückgekommen bin, das wißt ihr wohl schon?« sagte er. – »Nein, wir wissen nichts. Wir glaubten, du hättest dich totgefallen.« – »Das ist doch sonderbar,« sagte der Junge. »Ja, als der Bärenvater von mir ging, kletterte ich in eine Tanne und schlief ein. Aber beim ersten Tagesgrauen erwachte ich davon, daß ein Adler über mich dahinsauste, mich in seine Fänge nahm und mich entführte. Ich dachte natürlich, jetzt sei es aus mit mir. Aber er tat mir nichts, flog nur hierher und ließ mich mitten zwischen euch fallen.«

»Sagte er nicht, wer er sei?« fragte der große, weiße Gänserich.

»Er war verschwunden, ehe ich auch nur danke hatte sagen können. Ich glaubte, Mutter Akka habe ihn gesandt, um mich zu holen.«

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