»Ich glaube, die Menschen wollen die ganze Erde für sich haben,« sagte die Bärenmutter. »Wenn wir auch Menschen und Vieh in Ruhe lassen und nur von Preißelbeeren und Ameisen und Pflanzen leben, so werden sie uns doch nicht erlauben, im Walde zu bleiben. Ich möchte wohl wissen, wo wir hinziehen und sicher sein könnten, daß man uns wohnen ließe.« – »Hier in dieser Grube haben wir uns ja so viele Jahre wohlgefühlt,« sagte der Bärenvater, »aber ich kann mich nicht darin finden, hier zu wohnen, nachdem das große Bullerwerk ganz dicht neben uns gebaut ist. Ich bin jetzt zuletzt östlich vom Dalelf gewesen, nach Garpenberg zu, um mich dort umzusehen. Auch dort waren viele alte Grubenlöcher und andere gute Schlupfwinkel, und es schien mir, als wenn man da so ziemlich Ruhe vor Menschen haben würde ...«

Während der Bärenvater das sagte, erhob er sich und schnoberte nach allen Seiten. »Es ist sonderbar, jedesmal, wenn ich von Menschen spreche, spüre ich wieder den Geruch,« sagte er.

»Sieh selbst nach, wenn du mir nicht glauben willst,« sagte die Bärenmutter. »Ich möchte wohl wissen, wo ein Mensch hier versteckt liegen sollte.«

Der Bär machte die Runde durch die Höhle und schnoberte. Schließlich legte er sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder neben die Bärenmutter. »Aber du glaubst natürlich nicht, daß auch andere als du Nase und Ohren haben.«

»Man kann nie vorsichtig genug mit so einer Nachbarschaft sein, wie wir sie haben,« sagte der Bärenvater ruhig. Aber dann fuhr er mit einem Gebrüll in die Höhe. Es traf sich so unglücklich, daß eins der Bärenkinder seine Tatze auf Niels Holgersens Gesicht gelegt hatte, so daß der arme Junge nicht atmen konnte, sondern niesen mußte. Jetzt war es der Bärenmutter nicht mehr möglich, den Bärenvater ruhig zu halten. Er warf die Kleinen nach rechts und nach links und gewahrte den Jungen, ehe er sich noch erhoben hatte.

Er würde ihn sofort verschlungen haben, wenn sich die Bärenmutter nicht ins Mittel gelegt hätte. »Rühr' ihn nicht an! Das ist das Spielzeug der Kinder!« sagte sie, »Sie haben sich den ganzen Abend so herrlich mit ihm belustigt, daß sie es nicht übers Herz bringen konnten, ihn zu fressen, sondern ihn zu morgen aufheben wollten.« Der Bär aber schob die Bärin beiseite. »Mische dich nicht in Dinge, für die du kein Verständnis hast,« brüllte er. »Kannst du denn nicht merken, daß es nach Menschen riecht? Den fresse ich sofort auf, sonst spielt er uns noch irgendeinen schlimmen Streich.«

Er öffnete schon den Rachen, nun aber hatte der Junge Zeit gehabt, sich zu besinnen, und er hatte in größter Eile seine Streichhölzer aus dem Ranzen geholt – sie waren das einzige Verteidigungsmittel, das er besaß. Er strich ein Streichholz an seinen Lederhosen an, und als es mit heller Flamme brannte, steckte er es dem Bären in den Rachen.

Der Bär schnob, als er den Schwefelgeruch in die Nase bekam, und dann erlosch die Flamme. Der Junge hatte ein neues Streichholz bereit, aber merkwürdigerweise wiederholte der Bärenvater seinen Angriff nicht.

»Kannst du viele von den kleinen, blauen Rosen anzünden?« fragte er.

»Ich kann so viele anzünden, daß sie dem ganzen Walde den Garaus machen könnten,« erwiderte der Junge, denn er glaubte, daß er auf die Weise dem Bären bangemachen könne.

»Könntest du vielleicht Haus und Gehöft anzünden?« sagte der Bärenvater.

»Ja, das ist eine Kleinigkeit für mich,« prahlte der Junge und hoffte, daß der Bärenvater Respekt vor ihm bekommen würde.

»Das ist gut,« sagte der Bärenvater. »Dann sollst du mir einen Dienst leisten. Nun freue ich mich wirklich, daß ich dich nicht aufgefressen habe.«

Dann nahm der Bär den Jungen ganz vorsichtig zwischen die Zähne und kletterte mit ihm aus der Höhle heraus. Das ging erstaunlich leicht und schnell, obwohl er so groß und schwer war. Oben angelangt, lief er sogleich in den Wald. Auch das ging sehr schnell. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Bärenvater wie dazu geschaffen war, sich den Weg durch dichte Wälder zu bahnen. Sein schwerer Körper schoß durch das Dickicht wie ein Boot durch das Wasser.

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