Donnerstag, 5. Mai.
Am nächsten Tage hatte der Regen aufgehört, aber der Sturm wütete noch den ganzen Vormittag, und die Überschwemmung breitete sich immer weiter aus. Gleich nach Mittag aber kam ein Umschlag. Auf einmal wurde es das herrlichste Wetter, warm und still und lieblich.
Niels Holgersen lag seelenvergnügt in einem großen Büschel herrlicher, blühender Dotterblumen und starrte zum Himmel empor, als auf einem kleinen Pfad, der am See entlang lief, zwei kleine Schulkinder mit ihren Büchern und Butterbrotdosen daherkamen. Sie gingen langsam und sahen sehr betrübt aus. Als sie gerade vor dem Jungen angelangt waren, setzten sie sich auf ein paar Steine und fingen an, von ihrem Kummer zu reden.
»Mutter wird sehr böse werden, wenn sie hört, daß wir heute wieder unsere Schulaufgaben nicht gekonnt haben,« sagte das eine der Kinder. – »Ja, und Vater auch!« sagte das andere, und von ihrem Kummer überwältigt, brachen sie in Weinen aus.
Der Junge lag da und dachte darüber nach, ob er nicht etwas tun könne, um sie zu trösten, als eine krummgebeugte, alte Frau mit einem, milden und guten Gesicht den Steig entlang kam und vor ihnen stehenblieb.
»Weswegen weint ihr, Kinderchen?« fragte die Alte, und dann erzählten die Kleinen, sie hätten ihre Schulaufgaben nicht gekonnt, und schämten sich nun so sehr, daß sie gar nicht nach Hause gehen wollten.
»Was kann denn nur so schwer sein, daß ihr es nicht lernen konntet?« fragte die Alte, und die Kinder erzählten, sie hätten ganz Uppland aufgehabt.
»Ja, es ist vielleicht nicht so ganz leicht, das nach einem Buch zu lernen,« sagte die alte Frau, »aber nun sollt ihr hören, was mir meine Mutter einmal von dem Land erzählt hat. Ich bin nie zur Schule gegangen, daher habe ich nie mehr davon zu wissen bekommen, aber das, was mir Mutter erzählte, habe ich mein ganzes Leben lang nicht wieder vergessen.«
»Seht, meine Mutter,« begann die Alte und setzte sich zu den Kindern auf die Steine, »die sagte, Uppland sei in alten Zeiten die ärmste und unbedeutendste von allen Landschaften in Schweden gewesen. Sie bestand nur aus magerem Lehmboden, der mit kleinen, niedrigen Steinhügeln übersät war, und deren gibt es noch heute etliche in der Landschaft, wenn auch wir, die wir hier unten am Mälar wohnen, nicht viel davon sehen.
Nun ja, wovon es kam, weiß ich nicht, das aber ist sicher, es sah hier armselig und betrüblich aus. Uppland fand, daß es von den anderen Landschaften wie ein Ausgestoßener behandelt wurde, und das bekommt man mit der Zeit satt. Eines schönen Tages wurde es des ganzen Elends so überdrüssig, daß es den Sack auf den Rücken und den Stab in die Hand nahm und sich auf den Bettelgang zu denen begab, die besser gestellt waren.
Zuerst ging Uppland gen Süden, bis ganz nach Schoonen hinab, und als es dahin kam, beklagte es sich über seine Armut und bat um Land. ›Man weiß wirklich nicht, was man allen denen geben soll, die kommen und betteln,‹ sagte Schoonen. ›Laß mich aber einmal sehen, ich habe gerade ein paar Mergelgruben aufgegraben. Hast du Verwendung für ein paar Grassoden, so kannst du dir einige von denen nehmen, die ich an den Rand geworfen habe.‹
Uppland bedankte sich und nahm die Gabe an und ging dann weiter nach Westgotland. Dort beklagte es sich auch darüber, daß es so arm sei und bat um Land. ›Erdboden kann ich dir nicht geben,‹ sagte Westgotland, ›ich gönne einem Bettler nicht das kleinste Krümchen von meinen fetten Feldern. Hast du aber Verwendung für einen von diesen kleinen Bächen, die über die Ebene hinlaufen, so nimm ihn meinetwegen.‹
Uppland bedankte sich und nahm das Geschenk und bog nun nach Halland ab. Dort beklagte es sich wieder darüber, daß es so arm sei und bat um Erde. ›Ich bin nicht reicher als du,‹ sagte Halland, ›daher habe ich keinen Grund, dir etwas zu geben. Meinst du aber, daß es der Mühe wert ist, so kannst du gern einige Steinhügel von der Erde abbrechen und sie mitnehmen.‹
Uppland bedankte sich und nahm die Gabe an und eilte dann nach Bohuslän. Dort erhielt es Erlaubnis, so viele kleine kahle Schären in seinen Sack zu stecken, wie es Lust hatte. ›Sie sehen gerade nicht nach viel aus, aber sie sind gut als Schutz gegen den Wind,‹ sagte Bohuslän. ›Du kannst schon Nutzen davon haben, da du an der See wohnst, so wie ich.‹
Die Sage von Uppland
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