„Wer ist denn Schnuck, wenn ich fragen darf?“

„Ach, das kümmert dich nicht, Kleine,“ antwortete der Wächter, „sie ist für mich verloren und ich werde sie nie mehr finden.“

„Ich kenne Schnuck,“ sagte Maja und zwang sich zur Gelassenheit, „sie gehört zur Familie der Libellen und ist wahrscheinlich die schönste, die es unter ihnen gibt.“

Maja hatte den Krieger noch nicht so gesehen, wie nach diesen Worten, er schien alles um sich her vergessen zu haben und sprang stürmisch auf sie zu.

„Wie?“ rief er, „du kennst Schnuck? Sofort sagst du, wo sie ist.“

„Nein“, sagte die kleine Maja, ganz still und fest. Aber innerlich glühte sie vor Freude.

„Ich beiße dir den Kopf ab, wenn du nicht sprichst“, rief der Wächter. Er kam ganz nahe.

„Der wird mir ja sowieso abgebissen. Tun Sie’s nur! Ich werde doch nicht die liebliche Libelle verraten, mit der ich eng befreundet bin! Jedenfalls wollen Sie sie gefangennehmen.“

Der Krieger atmete schwer. Da es draußen zu dämmern begann, sah Maja, daß seine Stirn bleich war und seine Augen voll Angst und Unfrieden.

„Mein Gott,“ sagte er verstört, „es ist Zeit, ich muß die Krieger wecken. — Nein, nein, kleine Biene, ich will Schnuck nichts Böses tun. Ich liebe Schnuck mehr als mein Leben. Sag mir, wo ich sie wiederfinde!“

„Ich liebe mein Leben auch“, sagte die kleine Maja klug und zögernd.

„Wenn du mir den Aufenthalt der Libelle Schnuck verrätst,“ sagte der Wächter und Maja sah, daß er mühsam sprach und am ganzen Körper zitterte, „so werde ich dich freigeben, dann kannst du fliegen, wohin du willst.“

„Werden Sie Wort halten?“

„Mein Ehrenwort als Räuber“, sagte der Wächter stolz.

Die kleine Maja konnte kaum sprechen. Kam es nicht auf jede einzelne Minute an, wenn sie die Ihren noch rechtzeitig vor dem Überfall warnen wollte? Aber ihr Herz jubelte.

„Gut“, sagte sie. „Ich glaube Ihnen. So hören Sie: Kennen Sie die alten Linden beim Schloß? Hinter ihnen ziehen sich viele Blumenwiesen hin und endlich kommt ein großer See. Im Seewinkel im Süden, wo der Bach einmündet, stehen in der Sonne die weißen Seerosen im Wasser. Dort im Schilf wohnt Schnuck, Sie finden sie jeden Mittag dort, wenn die Sonne hoch steht.“

Der Krieger hatte beide Hände an seine blasse Stirn gedrückt. Er schien schwer mit sich selbst zu kämpfen.

„Du hast recht“, sagte er leise und stöhnte so, daß man nicht sagen konnte, ob er Schmerz oder Freude empfand. „Sie hat mir erzählt, sie wollte zu weißen schwimmenden Blumen. Das werden die Blumen sein, von denen du gesprochen hast. So flieg denn, und hab’ Dank!“

Und wirklich trat er vom Eingang zurück. Draußen dämmerte der Tag herauf.

„Ein Räuber hält sein Wort“, sagte er. Er wußte nicht, was die kleine Maja in dieser Nacht in der Burg gehört hatte, und so dachte er: Was liegt an einer kleinen Biene, gibt es nicht genug andere?

„Leben Sie wohl“, rief Maja und flog davon, atemlos vor Hast und ohne ein Wort des Dankes. Es war wirklich keine Zeit mehr dazu.

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