Bis zu diesem Augenblick war sie glücklich über ihren Plan gewesen und hatte keinerlei Bedenken gehabt, aber jetzt, wo sie den Hof sah, begann ihr Mut zu sinken. Den Fall gesetzt, daß ihr Vorhaben ganz verkehrt war! Sie war ja so gering und unbedeutend, da war wohl niemand, der sich um ihre Dankbarkeit kümmerte! Vielleicht würden sie nur über sie lachen, wenn sie in später Abendstunde mit ihren Schulkindern dahergewandert kam. Sie sangen ja auch gar nicht so schön, daß sich jemand etwas daraus machen konnte.

Sie begann langsamer zu gehen, und als sie an die Treppe kam, die zu der Schloßterrasse hinaufführte, bog sie vom Wege ab und ging die Stufen hinauf. Sie wußte sehr wohl, daß das große Schloß seit dem Tode des alten Herrn leer stand. Sie ging nur da hinauf, um in Ruhe zu überlegen, ob sie weitergehen oder umkehren sollte. Als sie auf die Terrasse hinaufkam und das Schloß sah, das schimmernd weiß im Mondschein dalag, als sie die Hecken und die Blumengruppen und die Balustrade mit den Urnen und die stattliche Treppe erblickte, wurde sie immer kleinmütiger. Es erschien ihr alles so prachtvoll und vornehm, daß sie einsah, hier hatte sie nichts zu tun. »Komm mir nicht zu nahe!« schien ihr das feine, weiße Schloß zu sagen, »Du wirst dir doch nicht einbilden, daß du und deine Schulkinder dem, der gewohnt ist, in einem solchen Schloß zu wohnen, Freude zu bereiten vermögen?« Um diese Unschlüssigkeit, die sie mehr und mehr beschlich, in die Flucht zu jagen, erzählte die Lehrerin nun ihren Schulkindern alles von dem alten und dem jungen Herrn, so wie sie es gehört hatte, als sie Schülerin auf Näas gewesen war. Und das machte ihr ein wenig mehr Mut. Es war ja doch wirklich wahr, daß das Schloß und das ganze Gut dem Handfertigkeitsseminar geschenkt worden war. Es war geschenkt worden, damit Lehrer und Lehrerinnen eine glückliche Zeit auf einem schönen Herrenhof verleben und danach ihren Schulkindern Kenntnisse und Freude mit heimbringen sollten. Aber diejenigen, die einer Schule ein solches Geschenk gemacht, hatten doch dadurch bewiesen, daß sie die Schullehrer zu schätzen wußten. Sie hatten hier offen bekannt, daß sie die Erziehung der schwedischen Kinder für wichtiger hielten als alles andere. Und hier durfte sie, die junge Lehrerin, sich am allerwenigsten mutlos und verzagt fühlen.

Diese Gedanken trösteten sie ein wenig, und sie beschloß, ihren Plan nun doch auszuführen. Und um ihren Mut zu stärken, ging sie in den Park hinab, der den Abhang zwischen dem Schloßhügel und dem See bedeckte. Als sie unter den schönen Bäumen dahinschritt, die so finster und geheimnisvoll im Mondschein dastanden, erwachten viele frohe Erinnerungen in ihr. Sie erzählte den Kindern, wie es zu ihrer Zeit auf Nääs gewesen war, und wie glücklich sie sich als Schülerin hier gefühlt hatte, wo sie jeden Tag in dem schönen Park lustwandeln durfte. Sie erzählte von Festen und von Spiel und Arbeit, vor allem aber erzählte sie von der großen Güte, die ihr und so vielen anderen diesen stolzen Herrenhof erschlossen hatte. Auf diese Weise hielt sie ihren Mut aufrecht, und sie gelangte durch den Park und über die alte steinerne Brücke und erreichte die Wiese unten am See, wo die Villa des Vorstehers mitten zwischen den Schulgebäuden lag.

Dicht an der Brücke lag der grüne Spielplatz, und als sie daran vorüberkam, beschrieb sie den Kindern, wie schön es hier an den Sommerabenden war, wenn die Rasenfläche von hellgekleideten Menschen wimmelte und Singspiele und Ballspiele einander ablösten. Sie zeigte den Kindern das »Freundesheim«, in dem der Versammlungssaal war, die Villen, in denen sich die Unterrichtsäle und der Turnsaal befanden. Sie ging schnell und sprach unaufhörlich, als wolle sie sich keine Zeit lassen, ängstlich zu warten. Als sie aber schließlich so weit gekommen war, daß sie die Villa des Vorstehers sehen konnte, blieb sie plötzlich stehen.

»Wißt ihr was, Kinder, ich glaube, wir gehen nicht weiter,« sagte sie. »Ich habe bisher nicht daran gedacht, aber der Vorsteher ist vielleicht so krank, daß wir ihn durch unsern Gesang stören könnten. Es wäre ja schrecklich, wenn wir ihn noch kränker machten.«

Der kleine Niels Holgersen war die ganze Zeit mit dabei gewesen und hatte alles gehört, was die Lehrerin erzählte. Er wußte also, daß sie ausgegangen waren, um jemand, der da drüben in der Villa krank lag, etwas vorzusingen, und er begriff jetzt, daß aus dem Gesang nichts werden würde, weil sie fürchteten, den Kranken zu stören und zu beunruhigen.

»Es ist doch schade, daß sie wieder von dannen gehen, ohne zu singen,« dachte er. »Es wäre ja die leichteste Sache von der Welt, zu erfahren, ob der Kranke wirklich zu schwach ist, um ein wenig Gesang hören zu können. Warum geht die Lehrerin nicht nach der Villa und erkundigt sich?«

Aber auf diesen Gedanken schien die Lehrerin gar nicht zu kommen; sie kehrte im Gegenteil um und ging

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