Es war eine Schar junger Leute, die sich auf einer Fußwanderung befanden. Sie sprachen davon, daß sie ganz Jämtland durchstreift hatten und freuten sich nun, daß sie Östersund noch am vorhergehenden Abend erreicht hatten, und daß sie einen so schönen, klaren Morgen hatten, um die weite Aussicht vom Östberge hier auf dem Frösö genießen zu können. Von hier aus konnten sie über zwanzig Meilen nach allen Seiten sehen, und noch einen letzten Blick auf ihr liebes Jämtland werfen, ehe sie von dannen zogen. Sie zeigten einander die vielen Kirchen, die rings um den See lagen. »Dort unten haben wir Sunnek,« sagten sie, »und da liegt Marby und da drüben Hallen. Die Kirche hier im Norden ist die Bödöerkirche und die dort an der Eisenbahn die von Frösö.« Dann begannen sie, von den Bergen zu sprechen. Die zunächstgelegenen waren die Oviksfjelde. Darin waren sie sich alle einig. Aber dann waren sie sich nicht klar darüber, welches wohl der Klövsjöfjeld sei, und welcher Gipfel der Anarisfjeld sein könne, und wo der Vesterfjeld und der Almåsaberg und der Åreskutan lägen.
Während sie hierüber redeten, holte ein junges Mädchen eine Karte heraus, breitete sie auf ihrem Schoß aus und begann, sie zu studieren. Plötzlich sah sie auf. »Wenn ich Jämtland so auf der Karte sehe,« sagte sie, »so finde ich, daß es einem großen, stolzen Felsen gleicht. Ich denke mir immer, daß ich eines schönen Tages hören werde, Jämtland hat einstmals ganz aufrecht dagestanden und geradeswegs zum Himmel hinauf gezeigt.« – »Das müßte wahrlich ein riesiger Felsen sein,« meinte ein anderer und lachte sie aus. »Freilich, und darum ist er auch wohl umgefallen. Seht aber doch selbst einmal, gleicht Jämtland nicht einem richtigen Hochgebirge mit breitem Fuß und spitzem Gipfel?« – »Es paßt gar nicht schlecht für ein Gebirgsland, selbst auszusehen wie ein Felsen,« sagte einer von den jungen Leuten. »Aber obwohl ich andere Sagen von Jämtland gehört habe, so habe ich doch niemals ...« – »Hast du Sagen von Jämtland gehört?« rief das junge Mädchen, und ließ ihm nicht einmal Zeit, den Satz zu vollenden. »Dann mußt du sie uns gleich erzählen. Das paßt nirgends besser als hier oben, wo man das ganze Land sehen kann.«
Alle stimmten darin überein, und der junge Mann ließ sich nicht lange nötigen, sondern begann sogleich:
Die Sage von Jämtland.
»Zu jenen Zeiten, als es noch Riesen in Jämtland gab, geschah es einmal, daß ein alter Bergriese auf dem Hof vor seinem Hause stand und seine Pferde striegelte. Während er hiermit beschäftigt war, sah er, daß die Pferde vor Angst zu zittern begannen. ›Was fehlt euch nur einmal, meine Pferde?‹ sagte der Riese und sah sich um; er wollte gern wissen, was die Pferde so erschreckt haben konnte. Es waren jedoch weder Wölfe noch Bären in der Nähe zu entdecken. Das einzige, was er sehen konnte, war ein Wandersmann, der lange nicht so groß und stark war, wie er selbst, der aber doch recht ansehnlich war und gute Kräfte zu haben schien. Er war im Begriff, die Leiter hinaufzuklettern, die zu der Berghütte des Riesen führte. Kaum hatte der alte Bergriese den Wandersmann erblickt, als er von Kopf zu Fuß zitterte, so wie die Pferde. Er ließ sich nicht die Zeit, seine Arbeit zu vollenden, sondern eilte in die gute Stube zu dem Riesenweib, das dasaß und Werg auf einer Handspindel spann.
›Was hast du nur?‹ fragte das Weib. ›Du bist ja so bleich wie ein Schneeberg.‹ – ›Sollte ich nicht bleich sein?‹ entgegnete der Riese. ›Da kommt ein Wandersmann unten vom Wege herauf, und ich bin ebenso sicher, daß es Asa-Thor ist, wie du mein Weib bist.‹ – ›Das ist gerade kein willkommener Besuch,‹ meinte das Weib. ›Kannst du seine Augen nicht verhexen, so daß er den ganzen Hof für einen Berg hält und an unserer Tür vorübergeht?‹ – ›Jetzt ist es zu spät, das Zaubermittel anzuwenden,‹ sagte der Riese. ›Ich kann hören, daß er die Pforte öffnet und den Hof betritt!‹ – ›Dann will ich dir raten, daß du dich verborgen hältst, so daß ich ihn allein in Empfang nehmen kann,‹ sagte das Riesenweib schnell. ›Ich will mein Bestes tun, daß er nicht so bald wiederkommt.‹
Der Riese fand, daß dies ein außerordentlich guter Vorschlag war. Er ging in die Kammer, während die Frau in der guten Stube auf der Frauenbank sitzen blieb und so ruhig spann, als ahne sie keine Gefahr.
Man muß nun wissen, daß es in jenen Zeiten in Jämtland ganz anders aussah als heutigen Tages. Das ganze Land war nichts weiter als eine einzige große, flache Hochebene, die so kahl und nackt dalag, daß nicht einmal Tannenwald darauf wachsen konnte. Da war kein See, kein Fluß, da gab es keine Felder, in denen der Pflug gehen konnte. Nicht einmal die Berge und Felsenmassen, die jetzt über das ganze Land zerstreut liegen, waren zu jenen Zeiten da; sie standen alle weit weg, drüben im Westen aufgestellt. Menschen konnten nirgends in dem großen Lande leben, aber die Riesen fühlten sich dort um so wohler. Es war wohl kaum ohne ihren Willen und ihr Zutun, daß das Land so öde und ungastlich dalag, und es hatte sicher seine guten Gründe, wenn der Bergriese so beunruhigt wurde, als er Asa-Thor auf sein Haus zukommen sah. Er wußte, daß die Asen denen nicht hold waren, die Kälte, Finsternis und Öde um sich verbreiteten und die Erde hinderte, reich und fruchtbar zu werden und sich mit menschlichen Wohnungen zu schmücken.