Das alte steinerne Gebäude hatte so feste Mauern, und es führten so wenige Rattengänge da hindurch, daß es den schwarzen Ratten gelungen war, es zu bewahren und die grauen Ratten am Eindringen zu hindern. Jahr für Jahr, Nacht für Nacht hatte der Streit zwischen Angreifern und Verteidigern gerast, aber die schwarzen Ratten hatten treulich Wache gehalten und mit der größten Todesverachtung gekämpft, und dank dem prächtigen alten Bau hatten sie beständig den Sieg davongetragen.
Es läßt sich nicht leugnen, daß die schwarzen Ratten, so lange sie die Macht besahen, von allen andern lebenden Wesen ebenso verabscheut wurden, wie es heutzutage die grauen Ratten sind. Und mit vollem Recht. Sie warfen sich über arme, gefesselte Gefangene und peinigten sie, sie schwelgten in Leichen, sie stahlen die letzten Rüben in dem Keller des Armen, sie bissen schlafenden Gänsen die Füße ab, stahlen den Hühnern Eier und Küchlein und taten nichts als Böses. Aber nachdem sie ins Unglück geraten, war das alles vergessen, und niemand konnte umhin, die letzten eines Geschlechts zu bewundern, das so lange in seinem Widerstand gegen die Feinde ausgeharrt hatte.
Die grauen Ratten, die in Glimminghaus und seiner nächsten Umgebung wohnten, setzten beständig den Kampf fort und suchten jede passende Gelegenheit zu benutzen, um sich der Burg zu bemächtigen. Man hätte meinen sollen, sie hätten der kleinen Schar schwarzer Ratten Glimminghaus gern friedlich überlassen können, da sie ja nun selber das ganze übrige Land erobert hatten. Aber das fiel ihnen nicht ein. Sie pflegten zu sagen, es sei eine Ehrensache für sie, die schwarzen Ratten endlich zu besiegen. Wer aber die grauen Ratten kannte, wußte sehr wohl, daß es einen andern Grund hatte: Sie fanden nur darum keine Ruhe, ehe sie Glimminghaus erobert hatten, weil die alte Burg von den Menschen als Kornspeicher benutzt wurde.
Der Storch.
Montag, den 28. März.
Eines Morgens, ganz in der Frühe, erwachten die wilden Gänse, die draußen auf dem Bombsee auf dem Eise standen und schliefen, durch laute Rufe oben aus der Luft herab. »Triap! Triap!« klang es. »Triamut, der Kranich, läßt Akka, die wilde Gans, und ihre Schar grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf Kullaberg statt.«
Akka machte einen langen Hals und antwortete: »Gruß und Dank! Gruß und Dank!«
Dann zogen die Kraniche weiter, die wilden Gänse aber konnten noch lange hören, wie sie flogen und ihre Botschaft über jedes Feld und jeden Waldhügel hinausriefen: »Triamut läßt grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf Kullaberg statt!«
Die wilden Gänse waren sehr erfreut über diese Nachricht. »Das ist wirklich ein Glück,« sagten sie zu dem weißen Gänserich, »daß du mit zu dem großen Kranichtanz kommst!« – »Ist es denn etwas so Merkwürdiges, Kraniche tanzen zu sehen?« fragte der Gänserich. – »Das ist etwas, wovon du dir nie hast träumen lassen,« erwiderten die wilden Gänse.
»Nun müssen wir überlegen, was wir morgen mit Däumling anfangen, damit ihm nichts zustößt, während wir nach Kullaberg reisen,« sagte Akka. – »Däumling darf nicht allein bleiben,« entgegnete der Gänserich. Wenn die Kraniche nicht erlauben, daß er dem Tanz zusieht, bleibe ich bei ihm.« – »Noch nie zuvor hat ein Mensch der Tierversammlung auf Kullaberg beigewohnt,« sagte Akka, »und ich wage nicht, Däumling dahin mitzunehmen. Aber darüber müssen wir späterhin reden. Jetzt wollen wir vor allen Dingen daran denken, daß wir etwas in den Leib bekommen.«
Damit gab Akka das Zeichen zum Aufbruch. Auch an diesem Tage suchte sie ihre Weide weit ferne, aus Angst vor Reineke Fuchs, und ließ sich nicht nieder, bis sie die tiefgelegenen Wiesen eine Strecke südlich von Glimminghaus erreicht hatten.
Den ganzen Tag saß der Junge am Ufer eines kleinen Teiches und blies auf der Rohrflöte. Er war schlechter Laune, weil er nicht mit nach dem Kranichtanz kommen sollte, und er konnte sich nicht entschließen, ein Wort zu dem Gänserich oder zu einer der andern Gänse zu sagen.
Es war so bitter, daß Akka und die andern Mißtrauen gegen ihn hegten. Wenn ein Junge darauf verzichtet hat, Mensch zu sein, um mit einigen armen wilden Gänsen umherzureisen, so mußten sie doch einsehen, daß er nicht die Absicht hatte, sie zu verraten. Und sie mußten doch auch einsehen können, daß, wenn er so viel geopfert hatte, um sie zu begleiten, es ihre Pflicht war, dafür zu sorgen, daß er all das Merkwürdige zu sehen bekam, was sie ihm zeigen konnten.