Der Vogel hörte ihn, und mit einem einzigen Flügelschlag war er oben auf dem Stein. Der Junge sprang sofort auf und ging ihm entgegen: »Bist du nicht der Rabe, den sie Bataki nennen, und der ein guter Freund von Akka von Kebnekajse ist?« fragte der Junge. Der Vogel sah ihn genau an, dann nickte er langsam dreimal. »Du bist doch wohl nicht der Knirps, der mit den Wildgänsen herumfliegt und den sie Däumeling nennen?« – »Ja, da hast du nicht weit vom Ziel geschossen,« sagte der Junge.
»Welch Glück, daß ich dich getroffen habe. Du kannst mir am Ende sagen, wer die Natter hier totgeschlagen hat?« – »Ich hab' den Stein da auf sie heruntergerollt, und der hat sie totgeschlagen,« sagte der Junge und erzählte, wie sich das Ganze zugetragen hatte. – »Das ist eine gute Leistung für einen so kleinen Knirps wie du,« sagte der Rabe. »Ich habe einen Freund hier in der Gegend, der wird sich freuen, daß die Natter tot ist, und ich wollte, ich könnte auch etwas für dich tun.« – »Dann erzähle mir, warum ihr euch so freut, daß die Natter tot ist,« sagte der Junge. – »Ach,« meinte der Rabe, »das ist eine lange Geschichte. Du hast gar nicht soviel Geduld, sie anzuhören.«
Der Junge aber behauptete, die hätte er, und da erzählte denn der Rabe die Geschichte von Karr und Graufell und der Natter Hilflos. Als er damit fertig war, saß der Junge eine Weile stumm da und starrte in die Luft. »Hab' vielen Dank!« sagte er. »Mir ist, als verstünde ich den Wald besser, nachdem ich dies alles gehört habe. Ich möchte wohl wissen, ob noch etwas von dem großen Hegewald übriggeblieben ist?« – »Das meiste ist wohl zerstört. Die Bäume sehen so aus, als hätte ein Waldbrand sie verheert. Sie müssen gefällt werden, und es vergehen sicher viele Jahre, ehe der Wald wieder das wird, was er gewesen ist.«
»Die Natter hat ihren Tod redlich verdient,« sagte der Junge, »aber wie konnte sie nur so klug sein, Krankheit über die Larven zu bringen?« – »Sie wußte am Ende, daß sie von einer solchen Krankheit befallen werden würden,« sagte Bataki. – »Das mag ja sein, aber ich finde doch, daß sie ein kluges Tier gewesen sein muß.«
Der Junge schwieg, denn der Rabe hatte gar nicht zugehört, er saß mit abgewandtem Kopf da und lauschte. »Hör' doch!« sagte er. »Karr ist hier in der Nähe! Wird der sich freuen, wenn er sieht, daß Hilflos tot ist.« Der Junge wandte den Kopf nach der Seite, woher der Laut kam. »Er spricht mit den wilden Gänsen,« sagte er. – »Ja, er hat sich gewiß an den See hinabgeschleppt, um sich nach Graufell zu erkundigen.«
Der Junge und der Rabe sprangen vom Stein herunter und eilten an den See. Alle Gänse waren aus dem Wasser heraufgekommen und sprachen mit einem alten Hund, der so schwach und jämmerlich war, daß es aussah, als könne er auf dem Fleck tot umfallen.
»Das ist Karr,« sagte Bataki zu dem Jungen. »Laß ihn nun erst hören, was die wilden Gänse ihm zu sagen haben. Dann können wir ihm hinterher erzählen, daß die Natter tot ist.«
Bald waren sie so nahe herangekommen, daß sie hören konnten, was Akka Karr erzählte. »Es war im letzten Jahr, als wir unsere Frühlingsreise machten,« sagte die Führergans. »Eines Morgens waren wir vom Silja in Dalarna ausgeflogen, Ykai und Kaksi und ich, und flogen über die großen Grenzwälder zwischen Dalarna und Helsingland. Wir sahen nichts weiter unter uns als den schwarz-grünen Nadelwald. Der Schnee lag noch hoch zwischen den Bäumen, die Bäche waren zugefroren, mit einer dunklen Wake hier und da, und an den Bachufern war der Schnee zum Teil schon fort. Wir sahen fast keine Dörfer und Gehöfte, nur graue Sennhütten, die den ganzen Winter unbewohnt standen. Hin und wieder schlängelte sich ein schmaler, gewundener Waldpfad dort, wo die Leute im Laufe des Winters Holz gefahren hatten Unten an den Bächen lagen große Holzstapel.
Wie wir so dahinflogen, sahen wir drei Jäger unten im Walde. Sie sausten auf Schneeschuhen daher, sie hatten Hunde an der Leine und Messer im Gürtel aber keine Büchsen. Über dem Schnee lag eine harte Eiskruste, und sie machten sich nichts daraus, den gewundenen Waldpfaden zu folgen, sie gingen geradewegs vor. Es sah so aus, als wenn sie ganz bestimmt wüßten, wohin sie gehen mußten, um das Gesuchte zu finden.
Die Geschichte von Karr und Graufell
Beitragsseiten
Seite 15 von 17