Die lebende Stadt.
Montag, den 11. April.
Den zweiten Ostertag am Nachmittag waren die wilden Gänse und Däumling wieder auf der Reise. Sie flogen über Gulland hin.
Die große Insel lag eben und flach unter ihnen. Die Erde war gewürfelt, genau so wie in Schonen, überall lagen Kirchen und Gehöfte. Der Unterschied aber war, daß zwischen den Feldern hier mehrere Haine standen, und dann waren die Gehöfte nicht zusammengebaut. Und da waren keine großen Schlösser mit Türmen und mit weitgedehnten Parks.
Die wilden Gänse hatten Däumlings wegen den Weg über Gulland eingeschlagen. Zwei Tage war er jetzt ganz wie verwandelt gewesen und hatte kaum den Mund aufgetan. Das kam daher, weil er an nichts weiter denken konnte als an die Stadt, die sich ihm auf eine so wunderbare Weise gezeigt hatte. Er hatte nie etwas so Schönes und Prächtiges gesehen, und er konnte sich nicht darüber beruhigen, daß es ihm nicht vergönnt gewesen war, sie zu erretten. Er war sonst gar nicht sentimental veranlagt, aber er trauerte geradezu über die schönen Gebäude und die großen, stolzen Menschen.
Sowohl Akka wie auch der Gänserich hatten Däumling zu überzeugen gesucht, daß es ein Traum oder Augenverblendung gewesen war, der Junge wollte aber nicht mit sich reden lassen. Er war überzeugt, was er gesehen hatte, das hatte er gesehen, und diese Überzeugung konnte niemand erschüttern. Er ging so betrübt umher, daß seine Reisekameraden seinetwegen besorgt wurden.
Gerade als der Junge am allerniedergeschlagensten war, kehrte die alte Kaksi zu der Schar zurück. Der Sturm hatte sie nach Gulland verschlagen, und sie war um die ganze Insel rund herum gewesen, ehe sie von einigen Krähen gehört hatte, daß sich ihre Reisegefährten auf der kleinen Karlsinsel befanden. Als Kaksi hörte, was sich mit Däumling zugetragen hatte, sagte sie plötzlich:
»Wenn es eine alte Stadt ist, über die Däumling trauert, so wollen wir ihn gar bald trösten. Kommt nur mit, dann will ich euch an einen Ort führen, den ich gestern gesehen habe! Er soll bald wieder ganz fröhlich werden!«
Dann nahmen die Gänse Abschied von den Schafen, und nun befanden sie sich auf dem Wege nach dem Ort, den Kaksi Däumling zeigen wollte. So betrübt er auch war, konnte er es doch nicht lassen, wie gewöhnlich auf das Land hinabzusehen, über das er dahinflog.
Vor seinen Augen sah es so aus, als wenn die ganze Insel von Anfang an eine hohe, steile Klippe gewesen war, so wie die Karlsinsel, nur natürlich viel größer. Aber dann war sie auf irgendeine Weise flach gemacht. Jemand hatte eine große Kuchenrolle genommen und damit darüber hingerollt, als sei sie ein Stück Teig. Nicht so zu verstehen, daß sie eben geworden wäre wie ein Stück Flachbrot, das war sie nicht. Als sie an der Küste entlang flogen, hatte er an mehreren Stellen hohe, weiße Kalkwände mit Grotten und Felssäulen gesehen, aber an den meisten Stellen waren sie mit der Erde gleich gemacht, und die Küste fiel leise abschrägend nach dem Meere zu ab.
Auf Gulland hatten sie einen schönen und friedlichen Sonntagnachmittag. Es war mildes Frühlingswetter, die Bäume hatten große Knospen, Frühlingsblumen bedeckten die Wiesen, die langen, dünnen, herabhängenden Zweige der Pappeln wehten, und in den kleinen Gärten, die vor jedem einzelnen Hause lagen, standen die Stachelbeerbüsche ganz grün.
Die Wärme und das fruchtbare Wetter hatten die Leute auf die Wege und die Hofplätze hinausgelockt, und wo mehrere versammelt waren, wurde gespielt. Und nicht nur die Kinder spielten, sondern auch die Erwachsenen. Sie warfen mit Steinen nach einem Ziel und schickten ihre Bälle mit einem gewaltigen Schwung in die Luft hinauf, daß sie nahe daran waren, die wilden Gänse zu treffen. Es sah lustig und munter aus, daß die Erwachsenen also spielten, und der Junge würde sich auch darüber gefreut haben, wenn er seinen Kummer darüber, daß er die Stadt nicht hatte erretten können, hätte vergessen können.
Aber er mußte ja zugeben, daß es eine schöne Fahrt war. Es lag so ein Sang und Klang in der Luft. Die kleinen Kinder spielten Ringelreihen und sangen dazu. Und die Heilsarmee war auch unterwegs. Er sah eine Menge Menschen in schwarzen und roten Anzügen auf einem Waldhügel sitzen und Gitarre und Messinginstrumente