Ein kleiner bläulicher Schmetterling, der braune Pünktchen, die wie Kupfer schimmerten, auf seinen Flügeln hatte, kam ganz dicht an Maja vorüber.
„Ach Arme“, rief er, als er das Jammern der kleinen Maja hörte und sie verzweifelt im Netz der Spinne zappeln sah. „Möchte Ihnen der Tod leicht werden, Sie Liebe. Ich kann Ihnen nicht helfen. Auch mich trifft es einmal, vielleicht schon diese Nacht. Aber noch ist es schön für mich. Leben Sie wohl, vergessen Sie die Sonne nicht in Ihrem tiefen Todesschlaf.“
Und er schaukelte weiter, ganz betäubt vom Blühn und von der Sonne und von seiner Lebensseligkeit.
Der kleinen Maja stürzten die Tränen aus den Augen, und sie verlor allen Halt und jede Gefaßtheit. Hin und her stieß sie sich mit ihren gefesselten Flügeln und Beinchen, schrie und summte, so laut sie konnte, und rief um Hilfe und wußte nicht wen. Und dabei verwickelte sie sich immer fester in das Netz. Ach, nun gingen ihr in ihrer großen Angst die Warnungen Kassandras durch den Sinn: „Hüte dich vor dem Netz der Spinne, in ihrer Gewalt erleiden wir den grausamsten Tod. Sie ist herzlos und tückisch und läßt niemanden wieder frei.“
Ihre Todesangst wurde zur Verzweiflung, mit ihren letzten Kräften machte sie eine gewaltige Anstrengung, aber obgleich sie die Empfindung hatte, als risse irgendwo eines der langen, stärkeren Tragseile, in denen das Netz hing, so spürte sie doch das furchtbare Verhängnis des Spinnennetzes, das darin bestand, daß es um so gefährlicher wirkte, je mehr man sich darin bewegte.
Als sie in völliger Erschöpfung einen Augenblick innehielt, sah sie unter einem großen Brombeerblatt, ganz in ihrer Nähe, die Spinne sitzen. Ihr Entsetzen war unbeschreiblich, als sie das große Ungeheuer ganz ernst und still wie zu einem Sprung geduckt unter dem Blatt hocken sah. Die Spinne sah mit bösen funkelnden Augen auf die kleine Maja, in einer boshaften Geduld und grauenhaft kaltblütig.
Maja stieß einen lauten Schrei aus. Ihr war, als habe sie noch niemals so voller Angst aufgeschrien. Schlimmer konnte auch der Tod selbst nicht aussehen, als dieses graue, behaarte Ungetüm mit seinem bösen Gebiß und den hochstehenden Beinen, in denen der plumpe Körper wie in einem Gestell hockte. Und nun gleich würde sie zustürmen, und mit ihrem Leben war es zu Ende.
Da befiel Maja ein furchtbarer Zorn, wie sie ihn niemals gefühlt hatte. Sie stieß ihren hellen, bösen Kampfruf aus, den alle Tiere kennen und fürchten, und vergaß ihre Angst und ihr Herzeleid und war nur noch darauf aus, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
„Sie werden Ihre Hinterlist mit dem Tode büßen“, schrie sie der Spinne entgegen. „Kommen Sie nur her, um mich zu töten, Sie werden erfahren, was eine Biene vermag.“
Die Spinne rührte sich nicht. Es war wirklich außerordentlich unheimlich und hätte sicher auch größere Tiere geängstigt, als die kleine Maja eines war.
Mit der Kraft ihres Zorns machte sie eine letzte verzweifelte Anstrengung. Knack! Da riß über ihr ein langer Faden, der das Netz an einer Seite hielt. Es war sicher für kleine Mücken oder Fliegen berechnet und nicht für so große Insekten, wie es Bienen sind. Aber Maja verwickelte sich nur noch ärger.
Da glitt die Spinne mit einem Ruck näher, ganz dicht bis an die kleine Maja heran, auf einem einzigen Faden, an dem sie mit den beweglichen Beinen heranturnte, so daß ihr Körper nach unten hing.
„Was berechtigt Sie dazu, mir mein Netz zu zerstören?“ sagte sie mit krächzender Stimme zu Maja. „Was wollen Sie hier? Ist die Welt nicht groß genug? Was stören Sie eine friedliche Einsiedlerin?“
Das hatte die kleine Maja nicht erwartet. Nein, das wirklich nicht.
„Es war ein Versehen“, rief sie, und zitterte vor Glück und Hoffnung. So häßlich die Spinne auch war, so schien sie doch keine bösen Absichten zu haben. „Ich habe leider Ihr Netz nicht beachtet und habe mich verwickelt. Ach, entschuldigen Sie.“
Die Spinne kam etwas näher.