Der erste Reisetag.

Sonnabend, 1. Oktober.

Niels Holgersen saß auf dem Rücken des weißen Gänserichs und sauste hoch oben in den Wolken dahin. Einunddreißig Wildgänse flogen in wohlgeordneter Folge schnell gen Süden. Es rauschte in ihren Federn, und die vielen Flügel peitschten die Luft mit einem kreischenden Laut, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte. Akka von Kebnekajse flog an der Spitze, hinter ihr kamen Yksi und Kaksi, Kalme und Neljä, Viisi und Kuusi, der Gänserich Martin und Daunfein. Die sechs jungen Gössel, die sich im Herbst der Schar angeschlossen, hatten sie jetzt verlassen, um ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen. Statt dessen hatten die alten Gänse zweiundzwanzig Gössel bei sich, die im Laufe des Sommers im Felsental herangewachsen waren. Elf davon flogen rechts und elf links, und sie gaben sich redliche Mühe, um denselben Abstand untereinander innezuhalten wie die großen Gänse.

Die armen Jungen hatten noch nie eine lange Reise gemacht, und im Anfang wurde es ihnen schwer, dem schnellen Flug zu folgen. »Akka von Kebnekajse! Akka von Kebnekajse!« riefen sie in jämmerlichem Ton. – »Was gibt's?« fragte die Führergans. –»Unsere Flügel sind müde von dem vielen Bewegen! Unsere Flügel sind müde von dem vielen Bewegen!« schrien die Jungen. – »Je länger ihr weiterfliegt, um so besser wird es gehen!« antwortete die Führergans und flog auch nicht im geringsten langsamer, sondern ebenso schnell wie bisher. Und es schien wirklich, als solle sie recht bekommen, denn als die Gössel ein paar Stunden geflogen waren, klagten sie nicht mehr über Müdigkeit. Im Felstal waren sie aber gewöhnt gewesen, den ganzen Tag zu fressen, und so währte es denn nicht lange, bis sie sich nach Nahrung sehnten.

»Akka, Akka, Akka von Kebnekajse!« riefen die jungen Gänse mir kläglicher Stimme. – »Was gibt's denn jetzt schon wieder?« fragte die Führergans. – »Wir sind so hungrig, daß wir nicht weiter fliegen können,« schrien die Jungen. »Wir sind so hungrig, daß wir nicht weiter fliegen können.« – »Wilde Gänse müssen es lernen, Luft zu essen und Wind zu trinken,« antwortete die Führergans und hielt nicht an, sondern setzte ihren Flug genau so fort wie bisher.

Es schien auch fast, als lernten die Jungen, von Luft und Wind zu leben, denn als sie eine Weile geflogen waren, klagten sie nicht mehr über Hunger. Die Schar der wilden Gänse war noch oben zwischen den Bergen, und die alten Gänse riefen mit lauter Stimme den Namen aller Berggipfel, an denen sie vorüberflogen, damit die Jungen lernen sollten, wie sie hießen. Aber als sie eine Zeitlang gerufen hatten: »Das ist Porsutjåkko, das ist Sarjektjåkko, das ist Sulitelma!« wurden die Jungen wieder ungeduldig.

»Akka, Akka, Akka!« riefen sie mit herzzerreißender Stimme. – »Was gibt's denn?« fragte die Führergans. – »Wir haben keinen Platz für mehr Namen in unserm Kopf!« schrien die Jungen. »Wir haben keinen Platz für mehr Namen in unserm Kopf!« – »Je mehr in einen Kopf hineinkommt, um so besser Platz wird darin!« antwortete die Führergans und fuhr fort, die merkwürdigen Namen geradeso zu rufen wie bisher.

Niels Holgersen dachte bei sich, es sei wirklich an der Zeit, daß die Wildgänse gen Süden zögen, denn da war so viel Schnee gefallen, daß die Erde, so weit man sehen konnte, ganz weiß war. Es ließ sich auch nicht leugnen, daß es in der letzten Zeit im Felsental recht ungemütlich gewesen war. Regen und Sturm und dichter Nebel hatten unablässig miteinander abgewechselt, und klarte sich das Wetter ausnahmsweise einmal auf, so trat sofort Frost ein. Beeren und Pilze, von denen der Junge während des Sommers gelebt hatte, erfroren oder verfaulten, so daß er schließlich rohe Fische essen mußte, und das mochte er gar nicht gern. Die Tage waren kurz, und die langen Abende und der späte Tagesanbruch waren zu trübselig und langweilig für ihn gewesen, der nicht genau so lange schlafen konnte, wie die Sonne vom Himmel verschwunden war.

Jetzt hatten die Gössel endlich so große Flügel bekommen, daß die Reise gen Süden angetreten werden konnte, und der Junge war so froh darüber, daß er fortwährend lachte und sang, wie er auf dem Rücken des Gänserichs dahinflog. Aber nicht nur, weil es dunkel und kalt und mit der Nahrung karg bestellt gewesen, hatte er sich von Lappland fortgesehnt, nein, er hatte auch noch andere Gründe.

In den ersten Wochen, die er dort war, hatte er wahrlich kein Heimweh gehabt. Es war ihm, als sei er nie in einem so schönen Lande gewesen, und er hatte keine andere Sorgen, als achtzugeben, daß die Mückenschwärme ihn nicht ganz auffraßen. Der Junge hatte nicht viel Freude von dem Gänserich Martin, denn der große Weiße hatte keinen andern Gedanken, als für Daunfein zu sorgen, und wich keinen Schritt von ihr. Aber dann hatte er sich an die alte Akka und an den Adler Gorgo gehalten, und die drei hatten manch eine vergnügte Stunde miteinander verbracht. Sie nahmen ihn auf lange Flüge mit. Der Junge hatte auf dem Gipfel des schneebedeckten Kebnekajse gestanden und auf die Gletscher hinabgesehen, die sich unterhalb des

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