»Das erste, was geschieht, ist, daß er in einen Riß im Eise fällt,« dachte sie.

Aber wie dunkel auch die Nacht war, sah der Junge doch deutlich alle Risse und Löcher, die im Eise waren, und sprang kühn darüber hinweg. Das kam daher, daß er jetzt die guten Nachtaugen der Kobolde hatte und im Dunkeln sehen konnte. Er sah den See wie auch das Ufer so deutlich, als sei es Tag.

Reineke Fuchs lief auf das Eis hinauf, da, wo es ans Land stieß, und gerade als er sich an dem steilen Ufer hinaufarbeitete, rief ihm der Junge zu: »Laß die Gans los, du Schlingel!« Reineke wußte nicht, wer da rief, und ließ sich keine Zeit, sich umzusehen, er beschleunigte nur seinen Lauf.

Der Fuchs lief nun in einen Wald mit großen, prächtigen Buchen, und der Junge folgte ihm, ohne daran zu denken, daß ihm Gefahr drohen könne. Dahingegen dachte er die ganze Zeit daran, wie verächtlich die wilden Gänse ihn am vorhergehenden Abend behandelt hatten, und er hatte wohl Lust, ihnen zu zeigen, daß ein Mensch doch ein wenig über allen andern Geschöpfen steht.

Einmal über das andere rief er dem Hunde zu, daß er die Beute fahren lassen solle. »So ein Hund, der sich nicht schämt, eine Gans zu stehlen!« sagte er. »Laß sie sofort los, sonst prügle ich dich, darauf kannst du dich verlassen. Laß sie los, sage ich, sonst werde ich deinem Herrn erzählen, wie du dich aufführst.«

Als Reineke Fuchs merkte, daß man ihn für einen Hund hielt, der vor Prügel bange ist, fand er das so komisch, daß er kurz davor war, die Gans fallen zu lassen. Reineke war ein großer Räuber, der sich nicht damit begnügte, hinter Mäusen und Ratten auf den Feldern dreinzujagen, sondern der sich auch auf die Höfe wagte, um Hühner und Gänse zu stehlen. Er wußte, daß er in der ganzen Umgegend gefürchtet war. Etwas so Törichtes hatte er nicht gehört, seit er ein ganz kleines Füchslein war.

Aber der Junge lief so, daß er ein Gefühl hatte, als glitten die dicken Buchen rückwärts an ihm vorüber, und er holte Reineke ein. Schließlich war er ihm so nahe, daß er den Schwanz gefaßt bekam. »Jetzt nehme ich dir doch die Gans weg!« rief er und hielt so fest, wie er nur konnte. Aber er war nicht stark genug, um Reineke zurückzuhalten. Der Fuchs zog ihn mit sich, so daß die welken Buchenblätter um ihn herstoben.

Aber jetzt schien es, als wenn Reineke dahintergekommen sei, wie klein der Verfolger war. Er stand still, legte die Gans an die Erde nieder und setzte die Vorderpfoten darauf, damit sie nicht wegfliegen sollte. Er wollte ihr gerade die Kehle durchbeißen, aber er konnte sich nicht enthalten, den Knirps erst ein wenig zu necken: »Mach' daß du nach Hause kommst und verklag mich beim Hausherrn, denn nun beiße ich die Gans tot!« sagte er.

Wer erstaunt war, als er sah, was für eine spitze Schnauze, als er hörte, was für eine heisere und häßliche Stimme der Hund hatte, den er verfolgte, das war der Junge. Aber er wurde nun auch so wütend darüber, daß sich der Fuchs lustig über ihn machte, daß er nicht daran dachte, bange zu sein. Er umklammerte den Schwanz noch fester, stemmte die Füße gegen die Wurzel einer Buche, und im selben Augenblick, als der Fuchs den Rachen über der Kehle der Gans aufriß, zog er mit aller Macht an. Reineke war so überrascht, daß er sich ein paar Schritte rückwärts ziehen ließ, und die wilde Gans wurde frei. Die hob sich mit Mühe in die Luft empor. Einer ihrer Flügel war verletzt, so daß sie ihn kaum gebrauchen konnte, und außerdem konnte sie in der dunklen Nacht nichts im Walde sehen, sondern war so hilflos wie ein Blinder. Deswegen konnte sie dem Jungen in keiner Weise helfen, sondern strebte einer Öffnung im Laubdach zu und flog wieder nach dem See hinab.

Reineke aber stürzte sich über den Jungen. »Krieg' ich die eine nicht, so will ich den andern haben!« sagte er, und man konnte es seiner Stimme anhören, wie wütend er war. »Das bilde dir nur ja nicht ein,« sagte der Junge und war ganz mutig, weil er die Gans gerettet hatte. Er hielt sich noch immer am Fuchsschwanz fest und schwang sich daran auf die andere Seite hinüber, wenn der Fuchs ihn zu fangen suchte.

Das war ein Tanz im Walde, so daß die Buchenblätter aufwirbelten. Reineke drehte sich unaufhörlich herum, aber der Schwanz drehte sich mit, und der Junge hielt sich daran fest, so daß der Fuchs ihn nicht kriegen konnte.

Der Junge war so froh über sein Glück, daß er anfangs nur lachte und sich über den Fuchs lustig machte, aber Reineke war beharrlich, wie es alte Jäger zu sein pflegen, und der Junge wurde allmählich bange, die Sache könne damit enden, daß ihn der Fuchs erwischte.

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