Dann schwieg sie eine Weile, aber der Junge konnte wohl merken, daß sie weder schlief noch aß. Es währte denn auch nicht lange, bis sie wieder zu sprechen begann: »Liegt sie an der Erde?« fragte sie. – »Ja, das tut sie,« antwortete der Junge. – »Sie hatte die Gewohnheit, hierher in den Kuhstall zu kommen und mit mir über alles zu reden, was sie bekümmerte. Ich verstand, was sie sagte, wenn ich ihr auch nicht antworten konnte. In den letzten Tagen ging sie umher und sprach davon, daß sie befürchte, es würde niemand bei ihr sein, wenn sie stürbe. Sie ängstigte sich, daß niemand ihr die Augen zudrücken und ihr die Hände kreuzweise über die Brust legen würde, wenn sie tot sei. Du würdest wohl nicht hineingehen und das tun?« Der Junge besann sich. Er erinnerte sich noch sehr wohl, wie sein Großvater gestorben war; da hatte seine Mutter ihn mit großer Sorgfalt zur Ruhe gebettet. Er wußte, daß dies etwas war, was geschehen mußte. Aber auf der andern Seite wußte er auch, daß er nicht den Mut hatte, in dieser schrecklichen Nacht zu der Toten hineinzugehen. Er sagte nicht nein, rührte sich aber auch nicht vom Fleck.

Die alte Kuh schwieg eine Weile, als warte sie auf Antwort. Als der Knabe aber nichts sagte, wiederholte sie ihre Bitte nicht. Sie begann im Gegenteil, mit ihm von ihrer Herrin zu sprechen.

Darüber war viel zu sagen. Zuerst erzählte sie ihm von allen den Kindern, die sie großgemacht hatte. Die kamen ja jeden Tag in den Stall, und im Sommer hüteten sie die Kühe auf dem Moor und auf den Wiesen, so daß die alte Kuh gut von ihnen Bescheid wußte. Es waren alles ausgezeichnete Kinder, fleißig und fröhlich. Eine Kuh wußte recht gut, wie ihre Hüter beschaffen sind.

Und auch von dem Gehöft war viel zu erzählen. Das war nicht immer so verfallen gewesen wie jetzt. Es gehörte viel Land dazu, wenn auch der größte Teil sumpfig und steinig war. Kornfelder waren da nicht viele, dahingegen war da überall ausgezeichnetes Weideland, Es gab Zeiten, wo in jedem Stand im Kuhstall eine Kuh angekettet war, und wo der Ochsenstall, der jetzt ganz leer stand, voller Ochsen gewesen. Und damals herrschte Freude und Frohsinn in Stube und Stall. Wenn die Hausfrau die Stalltür öffnete, sang und trällerte sie, und alle Kühe brüllten vor Freude, wenn sie sie kommen hörten.

Aber der Hausherr starb, als die Kinder noch so klein waren, daß sie noch keinen Nutzen schaffen konnten, und die Hausfrau mußte alle Arbeit und Fürsorge übernehmen. Sie war stark wie ein Mann und sie pflügte und erntete. Am Abend, wenn sie in den Stall kam, um zu melken, war sie manchmal so müde, daß sie weinte. Aber wenn sie an ihre Kinder dachte, wurde sie wieder fröhlich. Dann trocknete sie die Tränen und sagte: »Es macht nichts, ich werde schon wieder gute Tage bekommen, wenn meine Kinder erst erwachsen sind. Ja, wenn die erst erwachsen sind!«

Aber sobald die Kinder erwachsen waren, befiel diese eine wunderliche Sehnsucht. Sie hatten keine Ruhe mehr daheim, sie reisten nach fremden Ländern. Ihre Mutter bekam niemals Hilfe von ihnen. Ein paar von den Kindern waren schon verheiratet, als sie fortreisten, und sie ließen ihre kleinen Kinder in dem alten Heim zurück. Und nun liefen diese Kinder mit der Hausfrau in den Kuhstall, genau so, wie es ihre eigenen getan hatten. Sie hüteten die Kühe und es waren gute und tüchtige Kinder. Und am Abend, wenn die Großmutter so müde war, daß sie mitten beim Melken einschlief, konnte sie sich mit dem Gedanken an sie ermuntern und neuen Mut schaffen: »Ich werde schon gute Tage bekommen,« sagte sie und schüttelte den Schlaf ab, »wenn nur die Kinder erst erwachsen sind!«

Als aber diese Kinder erwachsen waren, reisten sie zu den Eltern hinüber in das fremde Land. Keines kehrte zurück, keines blieb in der Heimat. Die alte Frau war schließlich ganz allein auf dem Gehöft.

Sie bat sie auch gar nicht, bei ihr zu bleiben. »Du findest doch nicht, Rödlinna, daß ich sie bitten sollte, hier bei mir zu bleiben, wenn sie in die Welt hinausreisen und es gut haben können?« sagte sie oft, wenn sie im Stall bei der alten Kuh stand. »Hier in Smaaland harrt ihrer ja nichts als Armut.«

Aber als das letzte Enkelkind gereist war, konnte die alte Frau nicht mehr. Mit einemmal wurde sie grauhaarig und gebeugt, ihr Gang wurde wackelnd, es sah so aus, als habe sie keine Kraft mehr, sich zu rühren. Und sie hörte auf zu arbeiten. Sie mochte sich nicht mehr um das Gehöft bekümmern, sondern ließ alles verfallen. Sie setzte die Gebäude nicht mehr instand und sie verkaufte sowohl Kühe als auch Ochsen. Nur die alte Kuh, mit der Däumling jetzt sprach, behielt sie. Die ließ sie leben, weil alle Kinder mit ihr draußen auf dem Felde gewesen waren.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.