Als Akka das gesagt hatte, erhob sich das alte Schaf. »Ich glaube, es würde besser für euch sein, in dem ärgsten Sturm zu fliegen, als hier zu bleiben. Aber jetzt sollt ihr doch nicht von hier fortgehen, ehe wir euch die Bewirtung geboten haben, die das Haus zu geben vermag.«

Dann führte sie sie an ein Loch in der Erde, das voll Wasser war. Daneben lag ein Haufen Streu und altes Stroh, und damit bat sie sie, fürlieb zu nehmen. »Wir haben in diesem Jahr einen strengen Schneewinter hier auf der Insel gehabt,« sagte sie. »Die Bauern, denen wir gehören, kamen mit Heu und Stroh hier hinaus zu uns, damit wir nicht tothungern sollten. Und das ist alles, was wir noch übrig haben.«

Die Gänse stürzten sich sofort über das Fressen. Sie fanden, daß sie großes Glück gehabt hatten und gerieten in beste Laune. Sie bemerkten wohl, daß die Schafe bedrückt waren, aber sie wußten ja, daß Schafe gar leicht bange werden, und sie glaubten nicht, daß irgendwelche Gefahr vorliege. Sobald sie gegessen hatten, wollten sie sich wie gewöhnlich zum Schlafen hinsetzen. Aber da erhob sich der große Widder und kam zu ihnen hin. Die Gänse meinten, sie hätten nie im Leben einen Widder mit so langen und dicken Hörnern gesehen. Auch in anderer Beziehung war er merkwürdig. Er hatte eine große, knorrige Stirn, kluge Augen und hielt sich so aufrecht, als sei er ein stolzes und mutiges Tier.

»Ich kann es nicht verantworten, euch hier schlafen zu lassen, ohne euch zu erzählen, wie unsicher es hier ist,« sagte er. »Wir können in jetziger Zeit keine Nachtgäste aufnehmen.« Erst jetzt wurde es Akka klar, daß es Ernst war. »Wir werden schon wieder abreisen, wenn ihr es so bestimmt wünschet,« sagte sie. »Wollt ihr uns nicht aber erst erzählen, was euch quält? Wir wissen nichts, und wir wissen nicht einmal, wie dieser Ort heißt.« – »Er heißt die kleine Karlsinsel,« entgegnete der Widder. »Die Insel liegt in der Nähe von Gulland, und hier wohnen nur Schafe und Wasservögel.« – »Ihr seid vielleicht wilde Schafe?« fragte Akka. – »Davon sind wir gar nicht weit entfernt,« erwiderte der Widder. »Wir haben nicht viel mit Menschen zu schaffen. Es ist eine alte Übereinkunft zwischen uns und den Bauern auf einem Gehöft drüben auf Gulland, daß sie uns mit Futter versorgen sollen, wenn ein Schneewinter eintritt, und dafür haben sie die Erlaubnis, diejenigen von uns zu nehmen, die überzählig sind. Die Insel ist klein, so daß sie nicht viele Schafe ernähren kann. Im übrigen aber sorgen wir das ganze Jahr allein für uns, und wir wohnen nicht in Häusern mit Türen und Schlössern, sondern wir haben unsern Unterschlupf in Grotten wie diese hier.«

»Bleibt ihr auch im Winter hier draußen?« fragte Akka erstaunt. – »Freilich tun wir das,« antwortete der Widder. »Wir haben das ganze Jahr hindurch gute Weide hier oben auf dem Berge.« – »Ich sollte meinen, ihr habt es besser als andere Schafe,« sagte Akka. »Aber was für ein Unglück ist denn nur über euch gekommen?« – »In diesem Winter herrschte eine schreckliche Kälte. Das Meer fror zu, und da kamen drei Füchse hierher über das Eis gewandert, und die sind seither hier geblieben. Sonst gibt es auf der ganzen Insel kein lebensgefährliches Tier.« – »Ach, macht sich denn der Fuchs auch an so jemand wie ihr heran?« – »Nein, nicht am Tage, da kann ich mich und die Meinen schon verteidigen,« sagte der Widder und schüttelte die Hörner. »Aber sie schleichen sich des Nachts, wenn wir drinnen in der Grotte schlafen, an uns heran. Wir tun, was wir können, um uns wach zu halten, aber hin und wieder muß man ja schlafen, und dann überfallen sie uns. Sie haben schon die sämtlichen Schafe in den anderen Grotten getötet, und da waren Herden, die ebenso groß waren wie die meine.«

»Es ist nicht angenehm zu erzählen, wie hilflos wir sind,« sagte das alte Mutterschaf. »Wir sind nicht besser gestellt, als wenn wir zahme Schafe wären.« – »Glaubt ihr, daß die Füchse auch über Nacht kommen werden?« fragte Akka. – »Es ist wohl anzunehmen,« erwiderte das alte Schaf. »Vorige Nacht waren sie hier und stahlen uns ein Lamm. Sie kommen sicher wieder, so lange noch eins von uns am Leben ist. Das haben sie in den andern Grotten getan.« – »Aber wenn es so weiter geht, werdet ihr ja ganz vernichtet,« sagte Akka. – »Ja, es währt wohl nicht mehr lange, bis es mit allen Schafen auf der kleinen Karlsinsel vorbei ist,« sagte das Schaf.

Akka ging sehr mit sich zu Rat. Es war nicht erfreulich, wieder in den Sturm hinaus zu müssen, aber es war auch nicht gut, in einem Haus zu bleiben, wo solche Gäste zu erwarten waren. Als sie eine Weile über die Sache nachgedacht hatte, wandte sie sich an Däumling. »Ob du, der du uns schon so oft geholfen hast, uns nicht auch jetzt helfen willst?« fragte sie. Ja, das wollte der Junge gern. »Es tut mir ja sehr leid für dich, daß du nicht schlafen kannst,« sagte die wilde Gans. »Glaubst du aber nicht, daß du dich wach halten könntest, bis der Fuchs kommt, um uns dann zu wecken, so daß wir fortfliegen können?« Der Knabe war ja nicht sonderlich erfreut über diesen Vorschlag, aber alles war noch besser als wieder in den Sturm hinaus zu müssen, so versprach er denn, sich wach zu halten.

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