Krautwerk, das auf den Steinwällen wuchs, war braun und blank. Die Buchenwälder in der Ferne standen gleichsam da und schwollen und wurden mit jedem Augenblick dichter. Der Himmel war hoch und hellblau. Die Haustür stand angelehnt, so daß man in der Stube hören konnte, wie die Lerche sang. Die Hühner und Gänse gingen draußen im Hofe, und die Kühe, die die Frühlingsluft bis ganz in ihre Stände hinein spürten, gaben von Zeit zu Zeit ein Brüllen von sich.

Der Junge las und nickte und kämpfte mit dem Schlaf. »Nein, ich will nicht einschlafen,« dachte er, »denn dann komme ich heute vormittag nicht durch dies hier hindurch.«

Aber wie es nun kommen mochte, er schlief dennoch ein.

Er wußte nicht, ob er eine kurze oder eine lange Zeit geschlafen hatte, aber er erwachte davon, daß er ein schwaches Geräusch hinter sich hörte.

Auf der Fensterbank, gerade vor dem Jungen, stand ein kleiner Spiegel, und darin konnte man beinahe die ganze Stube sehen. In demselben Augenblick, als nun der Junge den Kopf erhob, fiel sein Blick in den Spiegel, und da sah er, daß der Deckel von der Mutter Truhe geöffnet war.

Die Mutter hatte nämlich eine große, schwere, eisenbeschlagene eichene Truhe, die niemand außer ihr selber öffnen durfte. Dort bewahrte sie all das auf, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und womit sie am allereigensten war. Da lagen ein paar alte Bauerntrachten aus rotem Tuch mit kurzem Leibchen und Faltenrock und perlengesticktem Brusttuch. Da waren gesteifte weiße Kopftücher und schwere silberne Spangen und silberne Ketten. Heutzutage wollten die Leute nicht mit dergleichen Sachen gehen, und die Mutter hatte oft daran gedacht, sich von dem alten Kram zu trennen, aber dann hatte sie es doch nicht übers Herz bringen können.

Nun sah der Junge ganz deutlich im Spiegel, daß der Deckel der Truhe offenstand. Er konnte nicht begreifen, wie das zugegangen war, denn die Mutter hatte die Truhe geschlossen, ehe sie fortging. Es sah der Mutter wahrlich nicht ähnlich, sie offenstehen zu lassen, wenn er allein zu Hause war.

Ihm wurde ganz unheimlich zumute. Er war bange, daß sich ein Dieb ins Haus geschlichen hatte. Er wagte nicht, sich zu rühren, sondern saß ganz still da und starrte in den Spiegel hinein.

Während er so dasaß und wartete, daß sich der Dieb zeigen würde, grübelte er darüber nach, was für ein schwarzer Schatten das wohl sein könne, der über den Rand der Truhe fiel. Er sah und sah und wollte seinen eigenen Augen nicht trauen. Aber das, was zu Anfang wie ein Schatten aussah, wurde immer deutlicher, und er entdeckte bald, daß es etwas Wirkliches war. Es war weder mehr noch weniger als ein Kobold, der rittlings auf dem Rande der Truhe saß.

Der Junge hatte freilich von Kobolden reden hören, aber er hatte sich nie gedacht, daß sie so klein seien. Der, der da auf der Truhe saß, war nicht höher als eine Handbreit. Sein Gesicht war alt und runzelig und bartlos, und er hatte einen langen schwarzen Rock und Kniehosen an und einen breitkrempigen schwarzen Hut auf dem Kopf. Er war sehr fein und zierlich, mit weißen Spitzen am Halse und am Handgelenk, Spangen an den Schuhen und Strumpfbändern mit Rosetten. Er hatte ein gesticktes Brusttuch aus der Truhe genommen und saß nun da und betrachtete die altmodische Arbeit mit so großer Andacht, daß er das Erwachen des Jungen nicht bemerkt hatte.

Der Junge war sehr erstaunt, den Kobold zu sehen, aber bange wurde er eigentlich nicht. Man konnte nicht bange vor einem werden, der so klein war. Und da nun der Kobold so von dem in Anspruch genommen war, was er vorhatte, daß er weder sah noch hörte, so dachte der Junge, es würde ein Spaß sein, ihm einen Streich zu spielen, ihn in die Kiste hinunterzustoßen und den Deckel zuzuschlagen oder etwas Ähnliches.

Aber der Junge war doch nicht so mutig, daß er den Kobold mit den Händen zu berühren wagte, und er sah sich deswegen in der Stube nach etwas um, womit er ihn hinunterstoßen könne. Seine Augen wanderten von der Bettbank nach dem Klapptisch und von dem Klapptisch nach dem Feuerherd. Er sah nach den Kochtöpfen und dem Kaffeekessel, die auf einem Gesims neben dem Feuerherd standen, nach dem Wassereimer an der Tür hinüber und nach den Kellen und Messern und Gabeln und Schüsseln und Tellern, die er durch die halbgeöffnete Schranktür sehen konnte. Er guckte zu des Vaters Flinte hinauf, die an der Wand neben den Bildern der dänischen Königsfamilie hing, und zu den Pelargonien und Fuchsien hinüber, die im Fenster blühten. Schließlich fiel sein Blick auf einen alten Fliegenfänger, der im Fensterrahmen hing.

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